Oft wird Taiji – und auch Qigong – als eine gymnastische Übung für alte Leute angesehen…Dazu eine kleine Geschichte von einer unserer Kursleiterinnen, die gefragt wurde: „Du bist doch so jung, du solltest doch eigentlich Zumba oder derartiges machen. Taiji/Qigong kannst du doch machen, wenn du alt bist?“ Ihre wundervolle Antwort darauf war: „Ich mache jetzt Taiji/Qigong, damit ich im hohen Alter auch noch Zumba machen kann.“

Ausschnitt aus dem Buch von Wee Kee-Jin Taijiquan Wuwei – ein natürlicher Prozess:

„In unserer heutigen Welt, in der alles immer ganz schnell oder gar sofort geschehen muss, ragt Taiji wegen seiner Unterweisung in Geduld heraus. Die vielen haarfeinen Details bedeuten, dass die Kunst Taiji zu erlernen nicht einfach ist und dass Fortschritte nicht übereilt erreicht werden. Die wichtigste Voraussetzung für das Lernen von Taiji ist deshalb Ausdauer.Dabei geht es vor allem um Entspannung und das Loslassen von unnötiger Anspannung im Körper. Die ständige Verfeinerung dieses Prozesses führt schließlich zu einer deutlichen Wahrnehmung von einem selbst und später auch von anderen.

Eine andere verbreitete Fehleinschätzung ist, das Taiji keine effektive Kampfkunst sei. Dies beruht auf der Auffassung, dass die Starken die Schwachen überwältigen und die Schnellen die Langsamen besiegen. Taiji lehrt jedoch nicht, einen Gegner zu überwinden, wie das andere Kampfkünste vielleicht tun. Stattdessen arbeitet man daran, sich selbst und das eigene Ego zu überwinden und sich in Harmonie mit seinem Gegner zu bewegen. Beim Taiji geht es eher darum, die Effizienz und Wirkung von Bewegungen zu maximieren und die Anstrengung und Energie zu minimieren, sie zu erzeugen. Dies schließt jede Abhängigkeit von roher Gewalt aus. Im weiteren Sinn ist Taiji ein Dao (eine Philosophie) des Lebens; das Training, in allen Situationen ein zentrierter, ausgeglichener und harmonischer Mensch zu sein, ein Leben lang.“

Einer der großen Unterschiede zwischen den inneren und den äußeren Kampfkünsten ist die Favorisierung der weichen Strategie.

„be like water“ (Bruce Lee)

„Es ist auch wichtig, keine Kraft zu verwenden und vielmehr alle Stellungen natürlich und langsam in runden, tanzgleichen Bewegungen auszuführen. Koordiniere den ganzen Körper in ein vereinigtes Ganzes und lasse ihn leicht, lebendig und vollkommen werden. Wo immer Steifheit und Ungelenkigkeit sind, löse sie Schritt für Schritt durch die Stellungen auf. Wenn du die Haltungen übst, entspanne dich und öffne alle Gelenke deines Körpers.“ Chang Naizhou (1736 – 1795)

Was ist der Unterschied zwischen Taiji und Qigong?

„Ich sehe in meiner 30-jährigen Erfahrung als Taiji- und Qigong-Lehrer mehr Ähnlichkeiten und weniger Unterschiede. Gut, der erste und offensichtlichste Unterschied ist natürlich der, dass Taiji Kampfkunst und Selbstverteidigung ist und Qigong mehr der Pflege der Lebenskraft und Gesundheit dient. In der Reduktion auf die Essenz begegnen sich die zwei Künste und verschmelzen meiner Erfahrung nach zu einer Einheit. Was ist diese Reduktion auf die Essenz?

Es ist die Qi-Führung, das Heben und Senken, die Welle, das belebte und bewegte Stehen. Hier geht es in beiden Künsten darum, auf den eigenen Füßen zu stehen, die Kraft der Erde über Yong-Quan zu spüren und „zu borgen“. Dieser Qi-Fluß ist im Qigong Quelle der Heilkraft und auch im Taiji der Ursprung der „Inneren Kraft“. Beide Methoden erfordern die Pflege der 3 Säulen der Achtsamkeit: Geist, Atem und Körper.

Taiji ist ursprünglich natürlich auch Selbstverteidigung, was Qigong im ersten Betrachten nicht ist. Die Selbstverteidigung zeigt sich auch in den Partnerübungen, in dem sogenannten Push Hands – Training. Diese Partnerübungen sind, abgesehen von der Verteidigungsmöglichkeit, immer ein wunderbares Feedback durch den Partner, ob ich in meiner Achtsamkeit und gut geerdet bin. Begriffe wie Taiji und Qigong werden erst seit ungefähr 1950 so polarisierend gebraucht. Früher wusste auch der Heiler sich zu wehren und der Kämpfer auch zu heilen. Ich denke es ist wichtig, die große liebevolle Achtsamkeit in beiden Künsten zu sehen und die gemeinsamen Inhalte zu betonen: wacher Herzgeist, bewusster Atem, waches Spüren.“

Helmut Bauer